Schritt für Schritt der Trauer begegnen

Schritt für Schritt der Trauer begegnen

Schritt für Schritt der Trauer begegnen

In meiner persönlichen Trauerzeit bin ich auf der Suche nach Hilfe auf das Modell der verschiedenen Trauerphasen gestoßen. Sie sollen aufzeigen, welche Phasen wir nach einem Todesfall durchlaufen. Diese Phasen gehen ineinander über, können aber im Lauf des Trauerprozesses auch wechselweise wieder auftreten. Intensität und Dauer sind dabei sehr individuell. 

Die erste Trauerphase - Schock

Die erste Phase ist demnach ein emotionaler Schockzustand, nachdem wir die Nachricht über den Tod eines geliebten Menschen erhalten haben. Die Stärke des Schocks richtet sich oft danach, ob uns die Todesnachricht unerwartet trifft oder ob wir durch eine längere Krankheit auf diesen Tod vorbereitet waren. Viele Menschen nehmen in dieser Zeit nur relativ wenig von der Umwelt wahr. Vielleicht bist du empfindungslos und willst oder kannst nicht wahrhaben was passiert ist. Auch bist du vielleicht nur schwer ansprechbar. Gefühle und Wahrnehmung wie betäubt. Auch körperlich kann in diesem Zustand Appetitlosigkeit, Herzrasen oder Schlaflosigkeit auftreten. In dieser Phase brauchst du vielleicht jemanden, der dir beim Erledigen alltäglicher Aufgaben hilft.  Diese erste Phase ist meist kurz, sie dauert ein paar Tage bis wenige Wochen.

Die zweite Trauerphase - Chaos

Die zweite Phase ist die Phase des Gefühlschaos. Wenn der erste Schock sich gelegt hat, wirst du vielleicht von unterschiedlich intensiven Gefühlen überflutet: Schmerz, Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Aggressionen, Verzweiflung, Erleichterung können abwechselnd auftreten und werden oft sehr intensiv empfunden. Viele Menschen fühlen sich schuldig oder suchen einen Schuldigen für den Verlust des geliebten Menschen. Man sucht verzweifelt nach einer Erklärung. Das Erleben und Zulassen aggressiver Gefühle hilft uns dabei, nicht in Depressionen zu versinken. Deswegen versuche deine Gefühle nicht zu verdrängen sondern ihnen den Raum zu geben den sie brauchen.  In diesem Gefühlschaos brauchen wir vor allem jemanden, der einfach nur zuhört. Der Verlauf dieser Phase hängt davon ab, wie  die Beziehung zwischen den Hinterbliebenen und dem Verstorbenen war. Indem wir die Emotionen erleben und zulassen, kann die nächste Trauerphase erreicht werden.

Die dritte Trauerphase - Suche

Phase drei ist die Phase des Suchens und Sich-Trennens. Hat sich der Sturm der Gefühle langsam gelegt, beginnen wir uns bewusst an den Verstorbenen zu erinnern. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass es den schmerzlich vermissten Menschen nicht mehr gibt. Der Verstorbene wird unbewusst oder bewusst "gesucht", dort, wo er im gemeinsamen Leben anzutreffen war: in Zimmern, an öffentlichen Plätzen, auf Fotos, aber auch in Träumen oder Phantasien. Wir durchleben noch einmal vertraute Situationen und gemeinsame Lebensabschnitte. Wir fühlen uns noch einmal in die Beziehung zum Verstorbenen hinein. Manche Menschen spüren den Verstorbenen auch noch bei sich. Er begleitet sie zum Beispiel immer noch beim Einkaufen oder läuft beim Spazierengehen an ihrer Seite. Manche Hinterbliebene übernehmen auch plötzlich Angewohnheiten, die der Verstorbene hatte. Oder sie erledigen Dinge, die sonst immer der andere erledigt hat. Besonders hilfreich ist es, wenn in dieser Phase auch noch ungelöste Probleme mit der verlorenen Person aufgearbeitet werden können. Hier wird zum Beispiel oft aufgeschrieben was nicht mehr gesagt werden konnte. Die Auseinandersetzung und die Suche nach dem, was den Menschen ausgemacht hat und das Gemeinsame ist wichtig. Wenn du dich zurückziehen möchtest, um in Ruhe Abschied zu nehmen, solltest du das tun. Diese Phase kann Wochen, aber auch Jahre dauern. Und sie erfordert von deinem Umfeld viel Geduld und Nachsicht. Erst wenn sich das Suchen abschwächt, sind wir wieder bereit in die Zukunft zu schauen.

Die vierte Trauerphase - Orientierung

Die vierte Phase ist die Phase der Neuorientierung. Während wir uns in den ersten drei Phasen aus unserem Leben eher zurück gezogen haben beginnen wir nun, uns vorsichtig wieder in unser neues Leben zu tasten. Wir können uns wieder besser konzentrieren, das Hier und Jetzt wahrnehmen. Die meisten beginnen wieder zu arbeiten, kontaktieren Freunde und Bekannte. Wir schauen wieder nach vorn und nehmen wieder am Leben teil. Beginnen, die Welt und uns selbst neu zu entdecken. Im Idealfall erlangen wir wieder ein seelisches Gleichgewicht und können wieder Glück und andere positive Emotionen empfinden. 

Der Verstorbene ist im Inneren des Hinterbliebenen ein Begleiter geworden.  Es kann ein neuer Selbst- und Weltbezug entstehen. Neue Lebensmuster können entstehen. Manche Menschen finden in ihrem Leben einen neuen Sinn. Neue Beziehungen, neue Rollen, neue Verhaltensmöglichkeiten und neue Lebensstile können möglich werden. 

Fazit

Schematisieren lässt sich der Prozess der Trauer nicht. Jeder Mensch trauert anders, und nicht jeder Mensch erlebt das Abschied nehmen in gleicher Weise und schon gar nicht nach dem gleichen Zeitplan. Manchmal fallen wir auch nochmal in vorherige Stadien des Trauerprozesses zurück. Dabei kann es passieren, daß dich die ganze Schwere der Trauer wieder trifft, aber meistens klingen die Abschnitte dann schneller wieder ab.

Wichtig ist allein, daß wir den Blick dabei nach innen richten, es schaffen den Verlust zu akzeptieren, unsere Beziehung zum Verstorbenen verändern und dadurch wieder nach vorne schauen können. Dafür ist das Durchleben dieser Gefühle notwendig. So können wir den Verlust verarbeiten und dem eigenen Leben einen neuen Sinn geben.

Das Modell der Trauerphasen verstehen und nutzen

Da das Phasenmodell schon in den 1970er Jahren entwickelt wurde, wird es heute von Seiten der Wissenschaft kritisch beäugt. Neue Erkenntnisse aus der modernen Trauerforschung stellen das Modell der Trauerphasen sogar in Frage.

Denn wenn ich als Trauernder erwarte, daß ich nun genau diese Phasen so durchlaufe, setze ich mich damit unter einen enormen Druck. Tue ich es nämlich nicht, kann das zu großer Verunsicherung führen. Treten zum Beispiel bei mir keine Gefühle wie Trauer, Wut oder Verzweiflung auf frage ich mich vielleicht ob mit mir etwas nicht stimmt.

Fühle ich zum Beispiel Erleichterung, dass ein langer Leidensweg beendet ist, und der Verstorbene nun seinen Frieden finden kann,  begleiten mich vielleicht Schuldgefühle – Ich muss doch traurig sein! Wie kann ich bloß Erleichterung empfinden? 

Trauere ich dagegen mehrere Jahre, glaube ich vielleicht ich sei krank oder fühle mich von außen unverstanden. 

Wir sollten also nicht davon ausgehen, daß jeder Mensch diese Trauerphasen gleich erlebt, oder dass der Verlust eines geliebten Menschen bei jedem zu intensivem Leiden führt! Trauer kann ebenso in einer eher milden Form erlebt werden. Deshalb sollte Menschen, die keine oder eine sehr milde Form der Trauer zeigen, nicht unterstellt werden, daß sie keine Gefühle haben oder ihre Trauer verdrängen.  Viele Menschen finden recht schnell wieder zu ihrem normalen Leben zurück und sollten nicht dafür verurteilt werden. 

Die Trauer kann bei jedem Menschen völlig andere Formen und Prozesse zeigen. Es gibt hier kein richtig oder falsch! Alle Gefühle sind erlaubt und wollen und sollen gelebt werden!